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Crashwarnung vom Anleihemarkt?

Anleihe-Investoren gelten verglichen mit Aktienmarkt-Anlegern gemeinhin als deutlich besser informiert. Das so genannte „Smart Money“ eben. Daher macht es Sinn, sich insbesondere bei diffuser Nachrichtenlage anzusehen, welche Richtung die Anleiheinvestoren einschlagen. Denn hinter den Kulissen zeigen sich mitunter wichtige Signale, die auch weitblickende Aktionäre nutzen können.

Die aktuelle Lage ist hochinteressant. Denn während die US-Notenbank in der vergangenen Woche Signale eine nahenden Zinswende nach oben verbreitet hat, ist am Anleihemarkt das genaue Gegenteil zu erkennen.

Konkret will die US-Notenbank zunächst die Drosselung ihrer Anleihekäufe beschleunigen. So verringert die Fed ihr aktuell 90 Milliarden US-Dollar schweres Aufkaufvolumen monatlich um 30 Milliarden – anstatt wie bislang geplant um 15 Milliarden. Damit ist das Ende der Liquiditätsoffensive voraussichtlich im März und nicht erst im Juni 2022 erreicht, womit der Boden für eine Zinserhöhung bereitet wäre. Anschließend soll der Leitzins bis Ende 2024 in sieben Schritten auf dann 2,1 Prozent angehoben werden.

Soweit die Fed in ihrem Statement von vergangener Woche. Bemerkenswert ist nun aber, dass der Anleihemarkt die mit viel Brimborium angekündigte „Zinswende“ offenbar bereits abgeblasen hat.

Sehen wir uns dazu den Renditeverlauf zehnjähriger US-Staatsanleihen an. Wie die folgende Grafik zeigt, steht der seit rund anderthalb Jahren gültige Aufwärtstrend bei den Renditen jetzt auf der Kippe. In der vergangenen Woche hat das Barometer den wichtigen gleitenden 50-Wochen-Durchschnitt (blaue Linie) bereits zum zweiten Mal innerhalb von drei Wochen per Freitags-Schlusskurs unterschritten. Achten Sie auf den blauen Pfeil.

Bemerkenswert ist außerdem. dass die Lage an der Anleihefront der Situation im Frühjahr 2020 ähnelt. Der Aktienmarkt hatte das Corona-Problem damals lange Zeit ignoriert. Zum Jahreswechsel 2019-2020, als das Virus in China bereits für weltweites Aufsehen sorgte, da notierte der S&P 500 unverdrossen auf Rekordhoch – während Anleiheinvestoren längst in Deckung gegangen waren. Achten Sie auf den roten Pfeil in der folgenden Grafik ganz links.

Dass der Aufwärtstrend bei den Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen tatsächlich beendet zu sein scheint, verdeutlicht die folgende Grafik, bei der wir etwas näher „herangezoomt“ haben: Die grüne Aufwärtstrendlinie bei den Anleihezinsen wurde zuletzt sehr klar unterschritten:

Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass weitblickende Anleiheinvestoren ungeachtet der Zinsanhebungsrhetorik der US-Notenbank derzeit in die „Sicherheit“ extrem niedrig verzinster US-Staatsanleihen zu flüchten scheinen. Wittert das „Smart Money“ also ein Problem, das den Aktienmarktanlegern bislang noch verborgen geblieben ist? Und was könnte das sein?

Spontan fallen mir zwei mögliche Eskalationsherde ein, die hinter den Kulissen womöglich schon sehr viel weiter fortgeschritten sind als die Aktienmärkte das derzeit wahrhaben wollen:

Da ist zum einen der taumelnde chinesische Evergrande-Konzern. Das angeschlagene Immobilien-Unternehmen steht weiterhin mit dem Rücken zur Wand. Ein Zahlungsausfall ist mittlerweile eine durchaus realistische Erwartung. Ein Domino-Effekt könnte das gesamte globale Finanzsystem in Schwierigkeiten bringen. Die Aktienmärkte scheint das allerdings nicht im Geringsten zu interessieren.

Und dann wäre da die durchaus heikle Lage an der ukrainisch-russischen Grenze. Nachdem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich „noch nie da gewesene Maßnahmen gegenüber Russland angedroht hatte, wäre auch von dieser Seite mit einer möglichen Eskalation zu rechnen, die an den Aktienmärkten deutliche Bremsspuren hinterlassen könnte.

Natürlich könnte es auch ein Problem geben, das noch unter dem Radar der Öffentlichkeit fliegt – das aber ausreichend bedrohlich erscheint, um bei Anleihe-Investoren eine Flucht in Sicherheit auszulösen…  

Sehen wir uns also einmal den Verlauf des breit aufgestellten S&P 500 an.

Wie in der folgenden Grafik auf Wochenbasis gut zu erkennen ist, hat das Barometer in den vergangenen Wochen einige Warnsignale ausgebildet, die ein Ende der atemlosen Hausse ankündigen könnten:

Erwähnenswert sind etwa die ausgeprägten negativen Divergenzen, die jetzt beim trendfolgenden MACD sichtbar werden: Während der Aktienmarkt in den vergangenen Wochen ein Hoch nach dem anderen markiert hat, befindet sich der MACD bereits sehr deutlich auf dem Rückzug. Achten Sie auf die fallende rote Linie unten rechts. Zudem war der jüngste Abwärtsschub von auffallend starkem Volumen begleitet (roter Pfeil).

Die bemerkenswerteste Beobachtung ist aber sicherlich die Tatsache, dass der Aktienmarkt immer noch in der Nähe seines Allzeithochs notiert, während die Anleiheinvestoren die rauschende Party allmählich durch die Hintertür zu verlassen scheinen. Man sehe sich dazu noch einmal die Lage vom Frühjahr 2020 an. Der blaue Pfeil verweist auf die Situation von damals: Ein Rekordhoch am Aktienmarkt wurde seinerzeit flankiert von einer klammheimlichen Flucht großer Adressen in die Sicherheit von Staatsanleihen (roter Pfeil in der ersten Grafik).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Anleiheinvestoren derzeit, ähnlich wie zum Jahreswechsel 2020, ein Problem sehen könnten, das den Aktienmärkten noch weitgehend verborgen geblieben ist. Für Aktionäre bedeutet dies, dass es höchste Zeit sein könnte, im Windschatten der gut informierten Anleiheinvestoren mindestens einen Gang zurückzuschalten.

Mehr dazu in der kommenden Ausgabe des Antizyklischen Börsenbriefs und in einem demnächst erscheinenden „Zwischenruf“…

Und auch wenn der Themensprung jetzt etwas abrupt daherkommt:

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern ein besinnliches und friedvolles Weihnachtsfest!