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Mit Olaf Scholz in den Dritten Weltkrieg…

Gestern wurde die sogenannte „Doomsday Clock“ (Weltuntergangsuhr) auf 90 Sekunden vor Mitternacht gestellt. Diese symbolische Uhr wird seit 1947 von Atomwissenschaftlern betrieben und soll ausdrücken, wie nah die Welt sich ihrer Meinung nach an einer nuklearen Katastrophe befindet. Das Datum der Warnung hätte kaum treffender gewählt werden können: Am Abend war bekannt geworden, dass die Bundesregierung sich nun doch entschlossen hat, der Ukraine deutsche Leopard-Panzer zu liefern. Den Anfang soll dabei offenbar eine aus 14 Panzern bestehende Kompanie aus Bundeswehr-Beständen machen. Parallel wird auch anderen Ländern die Erlaubnis erteilt, die aus deutscher Produktion stammenden Panzer zu liefern.

Wer sich je gewundert hat, wie der Erste Weltkrieg, jene „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts”, zustande kommen konnte, und wie – im Prinzip aus historischer Sicht völlig vermeidbar – Staatenlenker in ihren Narzißmen und Nationalismen, Sekundärtugenden und Wahnvorstellungen von moralischer und militärischer Überlegenheit und Alleinlegitimität schlafwandlerisch auf eine beispiellose Eskalation und Konfrontation zusteuerten, die nicht nur 10 Millionen Menschen das Leben kostete, sondern auch gleich noch die Keimzelle für den Folgekrieg 20 Jahre später lieferte, der nochmals fast das Sechsfache an Opfern forderte: In dem, was in Europa seit einem Jahr im Umgang mit der Nuklearmacht Russland geschieht, finden sich viele Hinweise darauf. Wenn auch die Kriegsschuldfrage im aktuellen Ukraine-Krieg eindeutiger zu beantworten ist und es sich bei dessen Auslöser fraglos um einen nicht zu billigenden Überfall Russlands auf ein souveränes Land handelte, der (bei aller notwendigen Würdigung der Vorgeschichte dieses Konflikts) völkerrechtlich und moralisch keinesfalls zu billigen ist: Die Ausblendung unliebsamer, aber realpolitisch unzweifelhafter Fakten, die völlige Verkennung von potentiellen Risiken und die fahrlässige Inkaufnahme eines neuen Weltkriegs schockieren stets aufs Neue.

Scholz „Zurückhaltung” war nur ein Rückgrat auf Zeit…

Zwar war von dieser Bundesregierung nicht ernsthaft zu erwarten gewesen, dass sie bei diesem Thema plötzlich weise, vorausschauend und im Interesse des eigenen Volkes handeln würde; das tut sie in allen anderen Ressort bekanntlich auch nicht. Doch schien wenigstens noch der Bundeskanzler als Inhaber der Richtlinienkompetenz bei halbwegs klarem Verstand und luzide genug zu sein, die unabsehbaren Konsequenzen der Lieferung von Kampfpanzern (die Deutschland nicht nur nach Einschätzung Russlands, sondern auch westlicher Militärs zur aktiven Kriegspartei macht) abzuschätzen, und den kriegslüsternen Endsieg-Besessenen Einhalt zu gebieten. Ein Trugschluss: Scholz knickte ein – und das schneller als erwartet.

Damit wird nun eine weitere Eskalationsstufe im Ukraine-Krieg gezündet, die Deutschlands Sicherheit existenziell bedroht – ob im Zuge dereinst möglicher konventioneller militärischer Angriffe Russlands auf NATO-Gebiet und Deutschland (gegen die sich Deutschland dann ironischerweise nicht mehr verteidigen könnte, weil es sein letztes intaktes Kriegsgerät an die Ukraine verschenkt hat) oder womöglich durch einen nuklearen globalen Schlagabtausch, dessen Wahrscheinlichkeit – Stichwort Doomsday Clock, siehe oben – seit gestern exponentiell gestiegen ist. Bundeskanzler Olaf Scholz ist also doch, wie befürchtet, unter dem wochenlangen Druck zusammengebrochen, der aus dem In- und Ausland und sogar noch aus der eigenen Regierung auf ihn eingeprasselt war. Formal hatte er sich – auch beim Verteidigungsministertreffen in Ramstein – der Entscheidung verweigert, indem er sie an die Zusage der USA knüpfte, der Ukraine ebenfalls ihre Abrams-Panzer zur Verfügung stellen würden.

Selbstverteidigung Deutschlands ist nichts, Selbstverteidigung der Ukraine alles…

Nachdem ihm US-Präsident Joe Biden nun telefonisch zugesichert haben soll, dies zu „prüfen” – was offiziell nicht einmal bestätigt wurde -, hatte Scholz wohl den gesichtswahrenden Vorwand, grünes Licht zu geben. Dabei hat sich außer einer vagen Äußerung eines greisen Präsidenten, der für seine ständigen mentalen Aussetzer berüchtigt ist, an der Lage nichts geändert: Die USA wollen keine Kampfpanzer liefern, weil sie eine direkte Konfrontation mit Russland scheuen – in die sie die ihnen hörigen Europäer vor allem Deutschen jedoch rücksichtslos hineintreiben. Andere europäische Länder, wie Polen oder die Niederlande, sind sogar ohne jedes Entgegenkommen der USA bereit, die Ukraine immer weiter besinnungslos hochzurüsten. Lediglich Tschechien will seine Leopard-Panzer nicht liefern – weil man diese – hört, hört! – zur eigenen Sicherheit brauche; eine Kategorie, die Deutschland nichts mehr gilt.

Die meisten anderen europäischen Regierungen scheinen jedoch von allen guten Geistern verlassen zu sein. Anders lässt sich diese Bereitschaft, die Ukraine unter Aufgabe jeder realpolitischen Vernunft zu unterstützen, nicht mehr erklären. Eine ernsthafte Bemühung um einen Verhandlungsfrieden findet überhaupt nicht mehr statt, wie namhafte einstige deutsche Führungsoffiziere seit Monaten beklagen, zuletzt etwa Merkels Ex-Militärberater General Erich Vad oder General Harald Kujat. Wir haben es mit der historisch einzigartigen und paradoxen Situation zu tun, dass es diesmal die Militärs sind, die dringend eine diplomatische Lösung fordern – während die Politiker, namentlich ehemalige linksgrüngelbe „Pazifisten”, auf die militärische „Lösung” setzen und uns in Krieg und Eskalation treiben wollen. Das ist im Prinzip Clausewitz rückwärts.

Kriegsgeile grüngelbe Weiber…

So entblödete sich die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt nicht, auf Twitter kindisch zu frohlocken: „The Leopard‘s freed!“ („Der Leopard ist freigelassen worden!“). Weiter schrieb sie: „Jetzt kann er hoffentlich schnell der Ukraine bei ihrem Kampf gegen den russischen Angriff und für die Freiheit der Ukraine und Europas helfen“. Ausgerechnet Göring-Eckart, die außer einem abgebrochen Theologiestudium nichts vorzuweisen und ihr gesamtes „Berufsleben“ in der steuerfinanzierten Blase der Evangelischen Kirche und der Politik verbracht hat, freut sich also nun über die Lieferung deutscher Panzer, die wieder einmal gegen Russland rollen sollen. Dabei hatten die Grünen in ihrem Programm für die letzte Bundestagswahl, dessen Kerninhalte unter anderem noch aus der für die Partei identitätsstiftenden Ära der Friedensbewegung stammen, vehement gefordert, dass „keine deutschen Waffen in Kriegsgebiete und Diktaturen“ geliefert werden sollten. „Angesichts der wachsenden militärischen Risiken in Europa ist eine Wiederbelebung der konventionellen Rüstungskontrolle unabdingbar“, hieß es darin weiter.  Davon ist nichts mehr übrig geblieben: Die Grünen überbieten sich geradezu gegenseitig mit immer neuen Forderungen nach Waffenlieferungen in die Ukraine.

Auch die unvermeidliche FDP-„Verteidigungsexpertin“ und Rüstungslobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, deren Kriegstreiberei geradezu pathologische Züge trägt, erklärte: Die Entscheidung war zäh, sie dauerte viel zu lange, aber sie ist am Ende unausweichlich. Dass Deutschland die Lieferung seines Panzers Leopard II durch Partnerländer freigibt und auch selbst liefert, ist eine erlösende Nachricht für das geschundene und tapfere ukrainische Volk. Die Frau mit der stalinistischen Beton-Frise verstieg sich gar zu der grotesken Behauptung, mit der Entscheidung zur deutschen Panzerlieferung sei ein entscheidender Schritt auf dem Weg zurück zu Frieden und Freiheit gelungen“.

Eine absurdere Verdrehung der Tatsachen lässt sich kaum vorstellen. Man fragt sich, in welchen Scheinwelten solche Politiker herumgeistern – denn hier wurde buchstäblich nichts aus der Geschichte gelernt. Die naive Vorstellung, Russland lasse sich je „besiegen“, ohne irgendwann doch auf den Roten Knopf zu drücken, zeugt von einem wahnhaft-phantastischen Wunschdenken, das in der nüchternen Politik nichts verloren hat.

Russland ist militärisch nicht zu schlagen…

Doch nicht nur Strack-Zimmermann und ihresgleichen, sondern im Prinzip der ganze Westen erliegen der gefährlichen Illusion, Russland zermürben zu können. Dabei lehrt alle historische Erfahrung, dass sich eine aggressive Großmacht – vor allem eine, die über größte Nukleararsenal der Welt verfügt – sich jedenfalls militärisch nicht geschlagen geben wird. Dieselben, die Putin Größenwahn und Verblendung unterstellen und überzeugt sind, er würde, wenn man keine Waffen liefere, zuerst die Ukraine Land „überrennen“ und anschließend in Polen oder im Baltikum weitermachen, glauben ernsthaft, dass sich derselbe Putin wie ein geprügelter Hund aus der Ukraine zurückziehen werde oder sich am Ende gar zur Kapitulation zwingen ließe.  Abgesehen davon, dass die russische Bevölkerung wesentlich leidensfähiger und überdies ein geringeres Wohlstandniveau gewohnt als fast jedes EU-Land, würde auch ohne Putin ein Großteil der Russen und der patriotischen Eliten eine Niederlage und die damit verbundene nationale Demütigung nicht hinnehmen – zumal diese die Erosion des ganzen Landes nach sich ziehen könnte und ein Fanal für andere „Marionettenstaaten“ im Randbereich des Riesenreichs wäre, von Tschetschenien bis Kasachstan oder Weißrussland, gegen den russischen Neo-Zaren ebenfalls aufzubegehren. Übrigens: Dass es deutsche Waffen sind, die 80 Jahre nach dem in der kollektiven russischen Erinnerung noch deutlich präsenten „Großen Vaterländischen Krieg“ (wie dort der Zweite Weltkrieg heißt) wieder einmal russische Soldaten töten, ganz gleich in welcher Rolle diese auftreten, kann an symbolischer Brisanz für die Russen gar nicht überschätzt werden.

Am verstörendsten jedoch ist, wie neuerdings die atomare Bedrohung, die von Russland ausgeht, mit schier atemberaubender Fahrlässigkeit abgetan wird: Man tut plötzlich so, es handele sich bei Atomwaffen um eine vernachlässigbare Größe, um ein „leeres” Drohpotential, das ohnehin nie verwirklicht werde – weil der, der diese Waffen als erstes einsetzt, über die Zweitschlagfähigkeit selbst unweigerlich dem Untergang geweiht wäre. Unter dieser Prämisse hätte die NATO auch zu Zeiten des Kalten Krieges aufs Ganze gehen und den Ostblock angreifen können, oder umgekehrt der Warschauer Pakt bis zum Atlantik vorstoßen können – weil die Gegenseite sich ja durch einen Atomkrieg nicht selbst auslöschen will.

Fatale Eigendynamik…

Welch ein Unsinn: In dem Moment, da eine Großmacht konventionell hinreihend in die Enge getrieben wurde und keinen Ausweg mehr sieht, wird sie – und zwar ungeachtet der Schuldfrage im betreffenden Konflikt – zwingend diese Waffe einsetzen. Wer sich hier etwas anderes einredet, negiert die funktionale Logik der Abschreckung, die immerhin eine historisch beispiellose Ära des Friedens gewährleistete und ihn ein Dreivierteljahrhundert sichern konnte. In all dieser Zeit gab es freilich dennoch Kriege, übrigens auch schon „vor unserer Haustür“ (man denke nur an den Ungarn-Aufstand 1956 oder den Prager Frühling 1968, die ebenfalls militärische Invasionen Russlands waren) zumeist Stellvertreterkonflikte, in denen jedoch zwei Dinge sichergestellt waren: Nie kämpften NATO und Ostblock direkt gegeneinander, und stets bestand zwischen Weißem Haus und Kreml ein enger Draht; selbst auf dem Höhepunkt der Kuba-Krise. Beides droht im aktuellen Konflikt zu entfallen – mit entsprechenden Folgen.

Die fatale Eigendynamik, die die derzeitige Situation annehmen kann, scheint den historischen immer un- oder bestenfalls halbgebildeteren „Eliten“ in Politik und Medien überhaupt nicht bewusst zu sein. Es ist schlicht unvorstellbar, dass sich Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks noch vor 30 Jahren mit einer solchen Nonchalance in eine Lage gebracht hätten, die ihnen immer mehr zu entgleiten droht, während sie glauben, sie völlig im Griff zu haben und am längeren Hebel zu sitzen. Und weil den Bellizisten keiner Einhalt gebietet, kann dann etwa der berüchtigte ukrainische Ex-Botschafter Andrij Melnyk schon die nächste Wunschliste präsentieren.

Die Ukraine präsentiert schon die nächste Wunschliste…

Gestern Abend, kaum dass die deutsche Zustimmung zu Leopard-Lieferungen durchgesickert war, verlangte er bereits Kampfjets vom Westen. Als nächstes werden dann irgendwann Bodentruppen und Mittelstreckenwaffen gefordert werden, um die Verpflichtungen, auf die der Westen sich eingelassen hat, noch aufrechterhalten zu können – denn keine der Waffenlieferungen wird Russland aufhalten, sondern im Gegenteil dessen noch härtere Reaktion provozieren.

Und dass Putin sein militärisches Potential auch konventionell nicht annähernd ausgereizt hat, ist sehr wahrscheinlich; wie sonst kommt es wohl, dass uns einerseits seit einem Jahr pausenlos von den massiven russischen Verlusten, vom ständigen Rückzug und fliehenden Elitetruppen, von der stolzen Rückeroberung von Gebieten durch die Ukraine, von stockenden Konvois, von verlorener russischer Kampfmoral und dem maroden Zustand ihrer Panzer und Geschütze, von desertierenden Rekruten in der Heimat und hunderttausenden Gefallenen berichtet wird? Von Putins bevorstehendes Ableben oder seinem bevorstehenden Sturz, und wie sehr er sich „verzockt“ habe – wenn die Ukraine doch wieder mal wieder kurz vor der Vernichtung stehe und ohne die Kampfpanzerlieferungen verloren sei? Der Westen sollte keine Panzer, sondern Diplomaten schicken – und alles daransetzen, Russland an den Verhandlungstisch zu bekommen. Nicht für Kapitulationsverhandlungen, denn diese wird es nie geben – sondern für einen Waffenstillstand auf Augenhöhe. Wenn uns etwas retten kann, dann ist es nur Realpolitik.

Der Beitrag ist ursprünglich bei www.ansage.org erschienen…