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Warum der Weltfrieden von Deutschland anhängt…

Ein Beitrag von Hauke Ritz für die Nachdenkseiten…

Es gibt in jedem Leben etwas, das sich wiederholt. In Indien spricht man diesbezüglich vom besonderen Karma eines Menschen. In gewisser Weise haben auch Länder ihr Karma bzw. ihr wiederkehrendes Schicksal. Was Deutschland betrifft, so scheint es zum Schicksal dieses eigentlich beschaulichen Landes zu gehören, immer wieder von neuem im Zentrum von Weltkriegen zu stehen, ja diese sogar auszulösen. Vom Dreißigjährigen Krieg, dem Siebenjährigen Krieg, den beiden Weltkriegen bis hin zum Kalten Krieg scheinen fast alle globalen Auseinandersetzungen ihr Zentrum in Deutschland gehabt zu haben. Und auch heute steht Deutschland im Mittelpunkt der sich immer weiter zuspitzenden Auseinandersetzung zwischen den USA und Russland.

Es ist mittlerweile ein offenes Geheimnis, dass die Vereinigten Staaten die Ukraine als Stellvertreter benutzen, um ihren „Erbfeind“ Russland zu schwächen. Henry Kissinger machte im vergangenen Dezember in einem Artikel im britischen Spectator[1] sogar den Sachverhalt öffentlich, dass einflussreiche Kreise in den USA die Zerstörung Russlands als geopolitische Macht anstreben. Diese Warnung Kissingers passt zu der immer wieder im Washingtoner Beltway aufkommenden Forderung, „Russland zu dekolonialisieren“, also in mehrere Länder aufzuteilen.[2] Und Russland wiederum benutzt den Ukrainekonflikt, um genau eine solche Schwächung zu verhindern und sich als Akteur auf der Weltbühne zu behaupten.

Deutschland hat mit diesem Konflikt der beiden nuklearen Supermächte zunächst nichts zu tun. Wäre da nicht der Umstand, dass die gesamte Logistik der US-amerikanischen Militärunterstützung für die Ukraine über deutsches Territorium abgewickelt wird. Es sind deutsche Bahnlinien, Hafenanlagen, Autobahnen und Umschlagplätze, die genutzt werden, um US-amerikanische Militärgüter an die neue „Ostfront“ zu schicken. In Deutschland steht zudem das Koordinierungszentrum in Wiesbaden, von wo aus die USA die militärische Unterstützung der Ukraine organisieren. Schließlich beteiligt sich Deutschland auch an der Ausbildung ukrainischer Soldaten und liefert seit neuestem sogar Panzer. Zudem spielen auch die US-amerikanischen Militärbasen, allen voran Ramstein, in diesem Konflikt eine wichtige Rolle. Kurz, ohne Deutschland wäre es für die USA gar nicht möglich, die Ukraine als kriegführenden Stellvertreter für ihre Erbfeindschaft mit Moskau zu nutzen.

Die USA wiederum sind fest entschlossen, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen. Russland kann jedoch in einem solchen Konflikt nicht nachgeben, da dies den Souveränitätsverlust des Landes bedeuten würde. Und Souveränitätsverlust bedeutet bei einem so großen Land wie Russland immer auch den territorialen Zerfall. Die USA können wiederum auch nicht nachgeben, da die Stabilität ihres zunehmend fragilen und überschuldeten Finanzsystems mittlerweile von der Fähigkeit abhängt, als globale Supermacht wahrgenommen zu werden. Zöge sich Washington aus der Ukraine zurück, stände durch den Autoritätsverlust nicht nur die Auflösung der NATO auf der Tagesordnung. Nein, auch die Finanzblasenwirtschaft, von der der Wohlstand der USA abhängt, würde dann platzen. Die USA wären fortan statt des globalen Hegemons nur noch eine Großmacht unter mehreren.

Weil das für die US-amerikanischen Eliten undenkbar erscheint, sind sie bereit, im Ukrainekrieg große, nie zuvor gewagte Risiken einzugehen. Immer wieder hört man von hochrangigen NATO-Vertretern selbstgewisse[3] Äußerungen[4], dass Putin sogar im Falle der Eskalation keine Atomwaffen einsetzen werde. Dies deutet darauf hin, dass man bereit ist, das Risiko einer Kubakrise 2.0 einzugehen und eine nukleare Erpressung Russlands zu wagen. Gerade weil die USA so viel zu verlieren haben, könnten sie auf eine Eskalation mit Russland zusteuern, in der sie nicht nur die Roten Linien Moskaus, sondern auch die der Europäer, ja der Zivilisation überschreiten.

Es gibt nur eine Grenze, die Washington in seiner Eskalationsbereitschaft Einhalt gebieten könnte. Und das ist die Grenzlinie, die Berlin zieht! Denn ohne Deutschland, wie bereits erwähnt, könnten die USA die Ukraine militärisch gar nicht unterstützen. Wenn unser Land sich diesem Krieg verweigert, dann endet er auch. Und umgekehrt, wenn wir uns als Logistikknotenpunkt, Koordinationszentrum und zukünftiges Schlachtfeld zur Verfügung stellen, dann wird dieser neue große Krieg mit hoher Wahrscheinlichkeit auch stattfinden. Und damit wären wir wieder bei dem eingangs erwähnten Karma unseres Landes. Setzt die deutsche Regierung den Weg fort, den sie seit dem 24. Februar gegangen ist – nämlich den Weg einer stetigen Anpassung an den Willen Washingtons – dann wird der kommende Weltkrieg auch unser Krieg sein. Dann wird auch der nächste Weltkrieg wie alle vorherigen ein von Deutschland mitverantworteter Krieg sein.

Denn die beiden Nuklearmächte stehen mit dem Rücken an der Wand und wissen sich nur durch Eskalation zu helfen. Ob der große Krieg geführt werden wird, entscheidet somit nicht Washington und auch nicht Moskau, nein, diese Entscheidung fällt in Berlin. Nur Berlin kann die fortschreitende Eskalation unterbrechen. Dazu allerdings müssen wir zunächst aus dem Wiederholungszwang unserer eigenen Geschichte ausbrechen. Wir müssten wenigstens einmal die Fähigkeit haben, uns in einer Vorkriegssituation zu bewähren. Und das heißt heute, die USA mit einem unmissverständlichen, mit Maßnahmen und Taten unterlegtem „Nein“ zu konfrontieren. Wird es uns gelingen?

Der Beitrag ist ursprünglich hier erschienen…

Zum Autor: Hauke Ritz ist ein deutscher Geschichtsphilosoph und Publizist. Er befasst sich insbesondere mit Themen der Geopolitik sowie Ideengeschichte. Seine aktuellste Veröffentlichung, zusammen mit Ulrike Guérot verfasst, lautet „Endspiel Europa“ und wurde im Westend-Verlag veröffentlicht.

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