Im Wurmloch…

Warum ist der erste Reflex der Medien auf Messerattacken und Anschläge immer gleich? Es geht immer zuerst um den Kampf gegen rechts und die Betonung, keinen Generalverdacht gegen Flüchtlinge zu hegen…

Ein islamistischer Anschlag erschüttert die Fußball-EM in Deutschland, mehrere Menschen werden auf dem Weg zu einem der Stadien durch Messerstiche eines „Allahu Akbar“ schreienden Fanatikers getötet. Am selben Abend gehen Tausende in ganz Deutschland spontan auf die Straße und demonstrieren – für Vielfalt und gegen Islamfeindlichkeit! Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass es so kommen wird, falls es so kommen sollte.

Genau so lief es ja auch in Mannheim. Nach dem tödlichen Messerangriff eines Afghanen bei einer islamkritischen Veranstaltung demonstrieren laut Tagesschau 800 Menschen mit einer Menschenkette unter dem Motto „Zusammenhalt gegen Gewalt, Hass und Hetze. Auf Fotos sieht man angeregt miteinander schnatternde „Omas gegen Rechts“, wohlsituierte Bürger mit feierlichen Mienen, sichtlich ergriffen von der eigenen „Zivilcourage“, und Transparente mit Botschaften wie „Mannheim: Wir kommen seit 1607 von überall her“ oder „Nie wieder ist jetzt!“, ganz so, als hätten Neonazis Ausländer oder Flüchtlinge attackiert.

Haufenweise reihen sich Journalisten ein. Die bereits vielzitierte Kerstin Herrnkind vom stern gibt zu bedenken, dass Bauarbeiter statistisch gesehen viel gefährlicher leben als Polizisten und dass der Angriff eines Einzeltäters „noch lange kein Terroranschlag“ sei. „Monitor“-Chef Georg „Generalverdacht“ Restle mahnt auf Twitter: „Bitte keinen Generalverdacht!“ Der taz-Redakteur Daniel Bax betont in seinem Kommentar, dass der angegriffene Michael Stürzenberger „Hasspropaganda gegen Muslime“ verbreitet habe und vergisst nicht zu erwähnen, dass auch der Niederländer Theo van Gogh, der vor zwanzig Jahren von einem Islamisten auf offener Straße enthauptet wurde, vorher „mit rassistischen Ausfällen gegen Muslime aufgefallen“ sei.

Viele Einzeltäter und ein Muster

Dabei brauchen all diese „Einzeltäter“ gar keinen vorgeschobenen Grund, um in Aktion zu treten, wie unzählige Beispiele aus den letzten Jahren zeigen, anlässlich derer die genannten Kommentatoren (die hier stellvertretend für einen Großteil ihrer Zunft stehen) ihre Täter-Opfer-Umkehr betrieben.

1. Brokstedt 2023: Ein staatenloser Palästinenser ersticht in einem Regionalzug grundlos und heimtückisch zwei deutsche Teenager. Daraufhin prangert dieselbe STERN-Journalistin aufkommende Forderungen nach Abschiebung und einer anderen Migrationspolitik an: „Der Reflex ist gefährlich und falsch.“

2. Illerkirchberg 2022: Ein Eritreer sticht unvermittelt auf zwei 14-jährige Schulmädchen ein, von denen eines stirbt, das andere schwer verletzt wird. Georg Restle warnt davor, „Flüchtende unter Generalverdacht zu stellen“.

3. Würzburg 2021: Ein Somalier ersticht unter „Allahu Akbar“-Rufen drei Frauen in einem Kaufhaus. Als Reaktion darauf bilden 600 Personen eine Menschenkette, um Solidarität zu zeigen „mit den Menschen, die nun Vorverurteilungen und Hetze ausgesetzt“ seien.

Überspringen wir ein paar tausend Messerangriffe (fast 9.000 gab es allein im Jahr 2023) und gehen zurück in den Dezember 2016, als der tunesische Islamist Anis Amri mit einem gekaperten LKW (dessen polnischen Fahrer er zuvor ermordet hat) in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz rast, 12 Menschen tötet und 67 weitere verletzt. Darauf listet Daniel Bax in seinem Kommentar „Hass ist real“ angebliche massenhafte Anfeindungen gegen Muslime auf.

Das überdeutliche Muster: Sobald Migranten morden, sind die Restles, Bax´und Herrnkinds flugs zur Stelle und bilden mit Gleichgesinnten Menschenketten, um etwaige Diskussionen 1. über den deutschen Sonderweg der unkontrollierten Massenzuwanderung und den millionenfachen Missbrauch des Asylsystems sowie 2. über problematische Anteile des Islams bzw. den islamistischen Hintergrund vieler Messerangriffe im Keim zu ersticken.

Ein Gängesystem mit einem einzigen Ausgang

Aber warum eigentlich? Wo stellten maßgebliche Politiker oder Medienleute Flüchtlinge unter Generalverdacht? In welcher deutschen Stadt zog ein rasender, rachsüchtiger Mob durch die Straßen, machte Jagd auf Muslime oder steckte Moscheen in Brand? Nirgendwo. Warum also um alles in der Welt diese beschwörenden Warnungen und Mahnungen im Dauerstakkato? Wegen des Wurmlochs. Ein Wurmloch ist ein theoretisches Konstrukt für eine Abkürzung im Universum, die zwei entfernte Punkte in der Raumzeit durch einen Tunnel verbindet (der Begriff entstand aus der Analogie zu einem Wurm, der sich durch einen Apfel frisst).

In Science-Fiction-Filmen werden Wurmlöcher gern für Zeitreisen verwendet, und genauso geschieht es seit vielen Jahren in der deutschen Politik. Genauer gesagt, ist das Wurmloch in Deutschland ein ausgedehntes Gängesystem, das allerdings nur über einen einzigen Ausgang verfügt: das Jahr 1933. Denn dieses Jahr steht für Hitlers Machtergreifung, das NS-System und den darauffolgenden Holocaust. Neulich erklärte mir ein älterer Bekannter bei einem Streitgespräch über den politischen Islam: „Ich habe damals in meiner Schulzeit noch die alten Nazilehrer erlebt. Deshalb werde ich bis an mein Lebensende gegen Nazis kämpfen!“ Dabei ist er selbst Lehrer gewesen, bezeichnet sich als aufgeklärt und linksliberal, hat unterschiedliche Schülergenerationen und deren sich rapide verändernde ethnisch-kulturelle Zusammensetzung erlebt, war mit neuen Herausforderungen konfrontiert – aber das ging alles an ihm vorbei, denn er ist nie aus dem Wurmloch herausgekommen.

So wie dieser Bekannte ticken auch die Restles, Herrnkinds, Bax´ und ihre Gefolgsleute, die nach islamistischen Anschlägen Menschenketten „gegen Rechts“ bilden. Diejenigen, die heute in Deutschland politisch und medial den Ton angeben, reisen im Wurmloch durch die Zeit, mit immer demselben Zielpunkt. Man muss sie sich als Menschen vorstellen, die im Jahr 2024 mit Virtual-Reality-Brillen durch die Gegend laufen, auf denen in Endlosschleife dasselbe Video läuft: „1933“. Aufgrund ihrer absoluten Fixierung auf die Nazizeit und weil sie wie Süchtige ihre tägliche Gegen-Rechts-Dosis brauchen, nennen wir sie hier einfach die Fixer.

Obwohl die Fixer nichts mit der Hamas zu tun haben, gibt es auffällige Parallelen. Die Hamas hat den Gazastreifen mit einem Gängesystem durchzogen, aus dem heraus sie Israel attackiert. Die Bevölkerung in ihrem Einflussbereich kümmert sie nur insoweit, als sie diese als Schutzschild missbrauchen kann. Ihr einziger Antrieb ist der Hass auf Israel. Nähme man ihr dieses Feindbild weg, verlöre sie ihre Existenzberechtigung.

Wer sind die Fixer?

Auch den Fixern fehlte ohne ihren ewigen „Kampf gegen Rechts“ der Lebenssinn. Für sie wimmelt es überall von Nazis. Veranstaltet die AfD eine Kundgebung, sehen sie die braunen Horden der SA mit Fackeln durchs Brandenburger Tor marschieren. Redet eine Handvoll Konservativer bei einem privaten Treffen über die Rückführung kriminell gewordener Ausländer in ihre Heimatländer, wittern die Fixer eine Neuauflage der Wannsee-Konferenz, auf der die Vernichtung der Juden geplant wurde. Grölen ein paar betrunkene Schnösel auf Sylt „Deutschland den Deutschen!“, schlagen die Medien der Fixer von SPIEGEL über ZEIT bis zur taz tagelang Alarm: Die „Mitte der Gesellschaft“ habe die NS-Vergangenheit nie aufgearbeitet!

Ihre Obsession haben sie längst auf alle gesellschaftlichen Bereiche ausgebreitet: Die Corona-Politik kritisiert: rechter Schwurbler! Sich skeptisch über die unkontrollierte Masseneinwanderung von Wirtschaftsmigranten und Glücksrittern aus aller Welt geäußert: Islamfeind und Rassist! Von Gendersprache genervt: queer-feindlicher Hater! Die grüne Wirtschaftspolitik angezweifelt: Klimaleugner (analog zu Holocaustleugner)! Sich falsch ernährt: Fleischnazi!

Als moderne Pharisäer haben sie die Wahrheit – für sie gibt es nur eine, die für alle verbindlich zu sein hat – gepachtet und allein die richtigen Lehren aus der deutschen Geschichte gezogen. Die „biodeutsche“ Bevölkerung ist für sie ein schlafendes Monster, das jede Sekunde erwachen kann. Gern zitieren sie Brechts „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ und meinen damit „die Deutschen“, denen sie sich allein noch in der Rolle von Aufpassern verbunden fühlen. Sie sind die moralischen Wächter gegenüber einem Volk, das in ihren Augen qua Abstammung rassistisch und von permanenten Rückfällen in Nazi-Denk und -Sprech bedroht ist. Dass diese Unterstellung ihrerseits „rassistisch“ ist, merken die Fixer nicht.

Ebenso wenig ist ihnen bewusst, dass sie mit dem inflationären Gebrauch der Nazikeule gegen politisch Andersdenkende den Nationalsozialismus banalisieren, dessen Opfer entwürdigen und echte Rechtsextreme – die es natürlich in Deutschland genau wie in jedem anderen Land gibt – verharmlosen. Selbstreflexion oder gar die Einsicht in eigene Fehleinschätzungen sind ihre Sache nicht. So ist auch zu erklären, dass während der Corona-Zeit dieselben Leute, die Andere bei jeder Gelegenheit als „Nazis“ denunzieren, sich selbst wie Nazi-Blockwarte aufführten.

Wer sind die Fixer? In der Regel sind sie westdeutsch sozialisiert (also ohne Diktatur-Erfahrung), nach eigenem Anspruch „politisch“ (d.h. mit starkem Drall nach Linksaußen), die deutsche Geschichte auf zwölf NS-Jahre reduzierend, die eigene Kultur nicht schätzend, für alles „Fremde“ schwärmend, ohne jedoch echtes Interesse für andere Sprachen und Kulturen aufzubringen, „religionskritisch“ (d.h. das Christentum schroff ablehnend, den Islam hingegen verklärend), desinteressiert auch an Geschichte (insbesondere der Osteuropas). Entsprechend traumatisch war für sie der Zusammenbruch des realen Sozialismus, mit dessen Schattenseiten sie sich nie auseinandersetzen wollten. Zwar hätten sie nicht in der DDR oder anderen Ostblockländern leben wollen, aber sie brauchten diese als Projektionsfläche für die eigenen schwärmerischen Sehnsüchte von einem sozialistischen Paradies auf Erden.

Das Jahr 1990

Hier liegen wohl auch die Anfänge des Wurmlochs als eines dominierenden Faktors, der mittlerweile die gesamte deutsche Gesellschaft unterminiert. 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, war das Land in Unruhe und Unsicherheit, wurde geschüttelt von widersprüchlichen Emotionen. In der beigetretenen Ex-DDR wich die Freude über die wiedergewonnene Reise- und Meinungsfreiheit schnell Existenzängsten wegen der radikalen Umwälzung aller Lebensbereiche und der plötzlichen Massenarbeitslosigkeit. Nachdem die SED 40 Jahre lang alles „Deutsche“ zugunsten eines komplett verlogenen Internationalismus unterdrückt hatte, brachen sich in dieser Gemengelage auch nationalistische und fremdenfeindliche Stimmungen Bahn. Dass die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda und anderswo Ausdruck der elementaren Orientierungslosigkeit und Verunsicherung von Teilen der ostdeutschen Bevölkerung und die beteiligten Jugendlichen oft Kinder von SED-Bonzen oder Stasileuten waren, die sich gegen die eigenen Eltern auflehnten, kam den Fixern nicht in den Sinn.

In ihrem schablonenhaften Weltbild sahen sie sofort „Großdeutschland“ und ein „Viertes Reich“ heraufziehen. „Liebe Ausländer, lasst uns mit diesen Deutschen nicht allein!“ stand auf den Transparenten verzweifelter linker Demonstranten. Damals, als ihr Traum vom Sozialismus zerbrochen und ihre Hoffnungen auf die Arbeiterklasse als Träger der Weltrevolution zerstoben waren, wählten sich die Fixer ein neues Projektionsobjekt: die Migranten. Aber nicht irgendwelche, die sich womöglich schnell und unkompliziert in die deutsche Gesellschaft integrieren wollten. Nein, es mussten solche sein, die ein starkes Gegengewicht gegen die hoffnungslos NS-verseuchten Deutschen bilden könnten und sich politisch instrumentalisieren ließen.

Je selbstbewusster und störrischer sie in ihrer religiös-kulturellen Parallelgesellschaft verharrten, desto besser. Deshalb die Präferenz für muslimische Einwanderer aus aller Welt. In Wahrheit geht es den Fixern also nicht um „rechts“, sondern um „deutsch“. Rassistische, nationalistisch-chauvinistische, antisemitische oder frauenfeindliche Einstellungen stellen für sie nämlich solange kein Problem dar, werden sogar systematisch unter den Teppich gekehrt, wenn sie von (meist muslimischen) Migranten vertreten werden.

Die türkischen „Grauen Wölfe“ etwa sind mit Abstand die größte rechtsextreme Gruppierung in Deutschland, aber das kümmert die Fixer nicht das Geringste. Es geht nur um das, was sie für „typisch deutsch“ halten und womit sie selbst auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden möchten. Was sie antreibt, ist die tief verwurzelte Abneigung gegen das Eigene. Das war und ist die Denke derjenigen, die heute in Deutschland an den Schalthebeln der Macht sitzen, auch wenn sie es nicht offen aussprechen.

Blind für die Gegenwart

Deutschland hat – rapide beschleunigt seit Angela Merkels Grenzöffnung 2015 – binnen dreier Jahrzehnte den Sprung vom vorgeblichen „Nicht-Einwanderungsland“ zu einer multikulturellen Gesellschaft geschafft, wie sie „bunter“ kaum sein kann. Von 84 Millionen Einwohnern weisen mittlerweile fast 30 Prozent einen Migrationshintergrund auf, Tendenz stark steigend. Doch mit den Menschen aus aller Welt sind nicht nur deren kulturell-religiöse Prägungen, sondern auch ihre Konflikte zugewandert. Palästinenser gegen Juden/Israelis, Kurden gegen Türken, IS-Anhänger gegen Jesiden und andere „Ungläubige“, Clan X gegen Clan Y.

Es gibt hier die italienische, die russische, die kosovo-albanische und die nigerianische Mafia, und alle fühlen sich pudelwohl, denn Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte sind chronisch überlastet. Deutschland ist – auch dank rot-grüner Politik und Ideologie – zu einem Paradies für Prostitution, Geldwäsche, Drogen- und Menschenhandel geworden, und es sind in der Regel keine „Biodeutschen“, die diese Kriminalitätsbereiche dominieren. Trotzdem malen die Fixer weiterhin den Teufel einer rassistischen deutschen Mehrheitsgesellschaft an die Wand, die arme Schutzsuchende ausgrenzt, diskriminiert und drangsaliert.

Blind für die Probleme und Herausforderungen der Gegenwart widmen sich die Fixer im Wurmloch ihrem „Kampf gegen Rechts“. Was „rechts“ ist, haben sie sich von Linksextremisten definieren lassen, haben kritiklos den kommunistischen Faschismusbegriff übernommen. Daher zielt dieser Kampf vor allem auf Konservative, Bürgerliche und Liberale, ignoriert neben dem teils gewalttätigen Linksextremismus auch den noch gefährlicheren Islamismus. So produzieren die Fixer selbst die gesellschaftliche Spaltung, die sie ständig beklagen. Bleibt die Frage: Wenn die Fixer der „Wurm“ sind, der den „Apfel“ der Gesellschaft unterhöhlt wie die Hamas den Gaza-Streifen – welche Zukunft hat dann diese Gesellschaft?

Oliver Zimski ist Übersetzer und Autor. In Kürze erscheint sein neuer Roman „Jans Attentat“, in dem es ebenfalls um eine Zeitmaschine geht: Ein linker Sozialpädagoge reist aus der Gegenwart ins Jahr 1944, um Hitler zu töten.

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